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Der Hodenhochstand (Maldescensus testis) ist eine der häufigsten angeborenen Fehlbildungen bei männlichen Neugeborenen. Die Inzidenz liegt bei reifen Neugeborenen zwischen 1,0-4,6 %. Frühgeborene sind mit bis zu 30% deutlich häufiger betroffen [1]. Der Hodenhochstand besteht häufiger rechts und liegt in ca. einem Drittel der Fälle beidseits vor [2].
In den ersten Lebensmonaten kann es zu einem Spontanabstieg des Hodens (Deszensus) in das Hodenfach kommen; nach dem 6. Lebensmonat ist dies jedoch zunehmend unwahrscheinlich.
Die Fehllage der Hoden kann zu einer eingeschränkten Fertilität (=Fruchtbarkeit/Fähigkeit Kinder zu zeugen) führen. Das Ausmaß der Schädigung hängt unter anderem mit der Dauer der Fehllage bzw. dem Zeitpunkt der operativen Therapie zusammen. Insbesondere bei späterer Operation ist zudem das Risiko für das Auftreten von bösartigen Keimzelltumoren der Hoden erhöht [3]. In einer schwedischen Studie entwickelten 0,33 % (56 von 17.000) betroffener Männer im weiteren Verlauf einen Hodentumor [4].
Klassifikation
Die Hoden werden in der Bauchhöhle angelegt und steigen im Rahmen der Entwicklung des Embryos in den Hodensack hinab. Hierbei kann es zu einer Lageanomalie des Hodens kommen. Klinisch unterscheidet man beim Hodenhochstand zwischen tastbaren Hoden und nicht tastbaren Hoden (Kryptorchismus). In ca. 80 % der Fälle ist der Hoden tastbar [2].
Hodendystopie
Dies beschreibt eine Lageanomalie des Hodens auf seiner natürlichen Deszensusstrecke.
Es gibt verschiedene Unterformen:
- Bauchhoden: Der Hoden ist nicht tastbar und liegt in der Bauchhöhle vor dem inneren Leistenring
- Leistenhoden: Der Hoden kann tastbar sein und liegt im Leistenkanal zwischen innerem und äußerem Leistenring. Eine Sonderform hiervon stellt der Gleithoden dar, dieser liegt vor dem äußeren Leistenring, kann in den Hodensack gezogen werden, gleitet jedoch beim Loslassen sofort zurück
Hodenektopie
Dies beschreibt eine Lageanomalie des Hodens außerhalb seiner natürlichen Deszensusstrecke.
Ektope Hoden können klinisch tastbar oder nicht-tastbar sein und befinden sich oft oberflächlich in der Leistengegend, seltener im Bereich des Oberschenkels, des Penis, im Dammbereich, im Bereich des Bauchnabels oder auf der Gegenseite.
Pendelhoden
Sonderform ohne echte Lageanomalie des Hodens. Es handelt sich um eine Normvariante ohne Krankheitswert, bei der aufgrund eines starken muskulären Reflexes - bspw. durch Kälte oder mechanische Reizung - der Hoden in den Leistenbereich/-kanal gezogen wird und dort kurzweilig verweilt.
Diagnostik
Die Erhebung der Anamnese (Krankengeschichte) und die körperliche Untersuchung der Hoden sind die wesentlichen Bausteine der Diagnostik. Die körperliche Untersuchung sollte in warmer und entspannter Umgebung bei nicht angespannter Bauchdecke erfolgen.
Bei nicht tastbarem Hoden wird in unserem Zentrum ergänzend ein Ultraschall (Sonographie) zur weiteren Lagebestimmung des Hodens durchgeführt. Zeigt sich auch sonographisch kein Hoden, muss eine Bauchspiegelung zur Hodensuche durchgeführt werden.
Im Falle eines beidseitigen Kryptorchismus (nicht tastbarer Hoden) kann über eine Hormonbestimmung im Blut der Nachweis von Hodengewebe erfolgen. Sollten bei einem Neugeborenen neben einem beidseitigen Hodenhochstand bspw. weitere Fehlbildungen des Genitales als Variante der Geschlechtsentwicklung (Differences of Sex Development, DSD) vorliegen, so ist eine weiterführende genetische sowie endokrinologische Untersuchung erforderlich. Um eine optimale medizinische Versorgung bei Menschen mit einer Variation der Geschlechtsentwicklung zu gewährleisten, wurde das DSD-Care-Programm gegründet, an dem unser Zentrum teilnimmt (https://dsdcare.de/de).
Therapie
Ziel der Therapie ist es Fruchtbarkeitsstörungen zu vermeiden und das Risiko für eine spätere Hodenkrebsentstehung zu minimieren. Die Therapie sollte nach dem 6. Lebensmonat eingeleitet werden und bis zum Ende des 1. Lebensjahres, wenn möglich, abgeschlossen sein.
Konservative Therapie
Bei einem Gleithoden kann laut der deutschen Leitlinien ein konservativer Therapieversuch mittels Gabe von Hormonen medikamentöser Hormongabe vor dem 1. Geburtstag erfolgen [1]. Die Hormontherapie hat jedoch nur eine geringe Erfolgsrate von 20% mit zudem hoher Wiederaufstiegsrate des Hodens von 25%.
Im Falle eines beidseitigen Hodenhochstandes kann die hormonelle Behandlung mit z.B. Kryptocur® in Ergänzung zur operativen Therapie sinnvoll sein, um die Fruchtbarkeit der betroffenen Patienten zu verbessern [2].
Operative Therapie
Abhängig von der Form des Hodenhochstandes gibt es in unserem Zentrum drei verschiedene Ansätze zur operativen Therapie [5].
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Skrotale Funikulolyse und Orchidopexie
Offen-chirurgisches Vorgehen für einen Hodenhochstand mit tiefliegendem, tastbarem Hoden. Es erfolgt ein kleiner Schnitt über dem betroffenen Hodensack, über welchen der Hoden mit seinem Samenstrang aufgesucht und von seinen fixierenden Umgebungsstrukturen und der Samenstrangmuskulatur gelöst werden kann. Anschließend ist eine Mobilisation des Hodens an den tiefsten Punkt im Hodensack möglich. Bei manchen Kindern besteht eine Ausstülpung des Bauchfelles in den Hodensack hinein, eine Art der Leistenhernie, welche im Rahmen der Operation ausgeschlossen oder ggf. zur Vorsorge von Beschwerden und Problemen unterbunden wird. Abschließend wird der Hoden mit einer Naht im Hodensack fixiert.
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Inguinale Funikulolyse und Orchidopexie
Ebenfalls offen-chirurgisches Vorgehen für einen Hodenhochstand mit einem tastbaren oder sonographisch darstellbaren Hoden im Bereich des Leistenkanals. Über einen kleinen Schnitt in der Leistenregion erfolgt ebenfalls das Aufsuchen des Hodens mit seinem Samenstrang, mit anschließender Mobilisierung wie zuvor beschrieben und ggf. der Durchtrennung einer Öffnung zum Bauchfell hin. Anschließend wird der mobilisierte Hoden aus dem Leistenkanal über einen Tunnel in das Hodenfach gezogen und hier ohne Spannung fixiert.
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Laparoskopische Orchidopexie
Durch die Bauchspiegelung kann bei Fällen mit nicht tastbaren oder sonographisch nicht darstellbaren Hoden eindeutig festgestellt werden, ob ein Hoden vorhanden ist [6].
Im Falle des Vorliegens von entsprechend entwickelten Hoden entscheidet die Lage, ob ein ein- oder zweizeitiges Manöver nach Fowler-Stephens zur Anwendung kommt. Beim einzeitigen Vorgehen erfolgt eine Mobilisation und Verlagerung des Hodens bis in das Skrotalfach. Beim zweizeitigen Fowler-Stephens-Manöver werden in einem 1. Schritt die den Hoden versorgenden Blutgefäße durchtrennt, da anders keine spannungsfreie Verlagerung in den Hodensack möglich ist. Die Blutversorgung des Hodens erfolgt hiernach nur noch über die Blutgefäße, die mit dem Samenleiter laufen. Nach einer Wartezeit von 6 Monaten, in der sich die alternative Blutversorgung für den Hoden kräftiger ausbildet, erfolgt der 2. operative Schritt mit Verlagerung und Fixierung des Hodens im Hodensack wie zuvor bei der inguinalen Orchidopexie beschrieben.
Sollte sich im Rahmen der Bauchspiegelung ein stark veränderter oder verkümmerter Hoden zeigen, erfolgt die Entfernung des Hodens.
Nachsorge
Nach erfolgter Operation sollten im 1. Jahr regelmäßige klinische und ggf. sonographische Kontrollen beim Kinderarzt erfolgen, um zu überprüfen, dass es nicht zu einem erneuten Auftreten eines Hodenhochstandes kommt und sich der Hoden weiterhin normal entwickelt.
Nach Erreichen der Pubertät sollten die betroffenen Jugendlichen erneut durch einen versierten Kinderarzt oder Urologen über ihr leicht erhöhtes Hodentumorrisiko beraten und zur Selbstuntersuchung angelernt werden.
Quellen und weiterführende Links
DSD Care: Verbesserung der Versorgung für Menschen mit Varianten der Geschlechtsentwicklung (DSD), https://dsdcare.de/de
Anleitung Selbstuntersuchung Hoden:
Herausgeber Deutsche Geselllschaft für Urologie, www.urologenportal.de/fileadmin/MDB/Hodenkrebswoche/WEB-Flyer_Themenwoche_Hodenkrebs_Webversion.pdf
- Kinderchirurgie DGf. AWMF-Leitlinie_S2k_Hodenhochstand_Maldescensus-testis. AWMF Online, https://wwwawmforg/leitlinien/detail/ll/006-022html. 01.08.2016.
- C. Radmayr GB, H.S. Dogan, J.M. Nijman, Y.F.H. Rawashdeh, M.S. Silay, R. Stein, S. Tekgül. EAU-Guidelines-on-Paediatric-Urology-2021-1. http://uroweborg/guideline/ paediatric-urology/. 2021.
- Schneuer FJ, Milne E, Jamieson SE, Pereira G, Hansen M, Barker A, et al. Association between male genital anomalies and adult male reproductive disorders: a population-based data linkage study spanning more than 40 years. Lancet Child Adolesc Health. 2018 Oct;2(10):736-43.
- Pettersson A, Richiardi L, Nordenskjold A, Kaijser M, Akre O. Age at surgery for undescended testis and risk of testicular cancer. The New England journal of medicine. 2007 May 3;356(18):1835-41.
- Shepard CL, Kraft KH. The Nonpalpable Testis: A Narrative Review. J Urol. 2017 Dec;198(6):1410-17.
- Kolon TF, Herndon CD, Baker LA, Baskin LS, Baxter CG, Cheng EY, et al. Evaluation and treatment of cryptorchidism: AUA guideline. J Urol. 2014 Aug;192(2):337-45.
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